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Halbzeit

Halbzeit 

Der Freiwilligendienst ist wie ein Auswärtsspiel im Fußball, man geht mit einer ausgedachten Aufstellung und großer Motivation in das Spiel. In der ersten Halbzeit lernt man den „Gegner“ kennen, sammelt Erfahrungen und erlebt erste Hoch- und Tiefpunkte. In der Halbzeitpause heißt es, Bilanz zu ziehen. Was lief gut im Spiel? Was lief weniger gut in den ersten 45 Minuten? Wo kann ich noch stärker spielen? Dann ist es die Aufgabe, die Aufstellung der Mannschaft zu optimieren und gegebenenfalls Auswechslungen vorzunehmen. In der 2. Spielzeit werden die neuen Pläne umgesetzt, um am Ende die Ziele zu erreichen. Das Zwischenseminar ist genau diese Halbzeitpause im Fußball.  

 

Mit einem großen Wanderrucksack ging für mich die Reise bereits vier Tage vor dem Beginn des Zwischenseminars los. Das Ziel war Shkodra, eine kleine Stadt am Mittelmeer in Albanien. Ich war etwas traurig die Kinder in meinem Projekt, die Jugendlichen in meiner Unterkunft und das gewohnte Umfeld das erste Mal zu verlassen. Trotzdem freute ich mich auf die „Pause“ von der Alltagsroutine und darauf, die anderen osteuropäischen Freiwillige kennenzulernen.  

 

Als ich spät abends in Bukarest ankam, fielen mir die vielen Obdachlosen und Alkoholiker sehr deutlich auf. Es folgte eine Nachtbusfahrt von Bukarest nach Sofia, der Hauptstadt von Bulgarien, zusammen mit meinem Mitfreiwilligen Jacob. Den folgenden Tag verbrachten wir in der Innenstadt von Sofia und schauten uns einige Sehenswürdigkeiten an, unter anderem die berühmte orthodoxe Alexander-Newski-Kathedrale. Concordia hat einen Standpunkt in Sofia, sodass wir dort glücklicherweise kostenlos übernachten konnten. Mir gefiel das Flair der Stadt direkt.  

 

Wir setzten unsere Reise am 01.02.2020 in der Früh mit einem Minibus fort. Dieser brachte uns in die Hauptstadt von Nordmazedonien, Skopje. Da der nächste Bus erst abends fuhr, verbrachten Jacob und ich den Tag über in der sehenswerten Innenstadt von Skopje. Der vorletzte Bus brachte uns von Skopje nach Tirana, der Hauptstadt von Albanien. Sehr übermüdet und nervlich angeschlagen stiegen wir morgens in den letzten Bus nach Shkodra. Nach vier Tagen Anreise, durch vier verschiedene Länder, mit vier verschiedenen Bussen gelangten wir an das Tagungshaus, welches ein christliches Jungeninternat namens Don-Bosko-Haus war. Für die nächsten fünf Tage, war dieses Haus unsere Unterkunft und gleichzeitig auch unser Seminargebäude.  

 

Direkt als wir ankamen, wurden wir von vielen Jugendlichen auf dem Hof der Unterkunft überrascht und suchten das Team des Zwischenseminars auf. Wenig später begrüßte uns eine kleine deutschsprachige Gruppe. Clarissa, eine 70-jährige Freiwillige, die ebenfalls von den Jesuit Volunteers ausgesendet wurde und in Rumänien arbeitet, hat mich sehr lieb empfangen. Ich habe mich sehr auf sie gefreut. Jacob und ich bezogen unser Zimmer und das Programm des Zwischenseminars begann. Die Gruppe des Zwischenseminars bestand aus insgesamt elf Personen. Davon bildeten ein Organisator, ein Student und eine Ex-Freiwillige das Team. Während Jacob, Clarissa und ich aus dem entfernten Rumänien kamen, hatten die restlichen fünf neuen Freiwilligen einen kürzeren Weg zum Seminar. Zwei Freiwillige kamen aus dem Kosovo, andere aus Montenegro und eine sogar aus Albanien selbst. Wir alle kamen aus den unterschiedlichsten Hilfsorganisationen. Nach einer Vorstellungsrunde gab es direkt Abendessen mit allen Jungen aus dem Haus und nach dem Tagesabschluss ging ich direkt ins Bett, da ich noch sehr von der Fahrt geschlaucht war. 

 

Gut ausgeschlafen ging das Programm am Montag mit der Vorstellung der Hilfsorganisationen, los. Es war sehr interessant, was die anderen Hilfsorganisationen für Ziele haben, wie groß diese sind und in welche Einsatzländer sie die Freiwilligen schicken. Ich muss sagen, die Jesuit Volunteers stachen weit heraus im Vergleich zu den anderen Hilfsorganisationen. Während eine Hilfsorganisation über 100 Freiwillige jedes Jahr entsendet, beschränkt sich Jesuit Volunteers auf ein Viertel davon. Jesuit 

Volunteers hat das Sendungsprinzip, dass man aus Motivation den Freiwilligendienst tätigt und man sich somit kein spezifisches Land oder Projekt im Vorhinein aussuchen kann. Jesuit Volunteers hat ebenfalls einige „Regeln“ für das Auslandsjahr. Unter anderem dürfen wir nur öffentliche Busse und Züge zum Reisen nutzen, um die Umwelt mehr zu schonen. Außerdem dürfen wir während  des Freiwilligendienstes nicht die Heimat besuchen, sondern sollen im Land bleiben, damit wir dort ein neues Heimatgefühl entwickeln. Nach dem Mittagessen ging es direkt mit der Vorstellung des Projektes im Einsatzland los. Während die meisten, wie auch ich, mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, arbeitet ein Junge auf einer Zuchtfarm und Clarissa im Hospiz, wo sie unter anderem auch Hausbesuche tätigt. Es war sehr spannend die anderen Projekte kennen zu lernen. Bevor es Abendbrot gab, spielte ich auf dem Hof noch mit einigen Jungen Basketball. Nach dem leckeren Abendbrot spielten alle Freiwilligen, sowie einige Jungen aus dem Internat, noch Just Dance. 

 

Ein Ziel des Zwischenseminars ist es, über Schwierigkeiten und Probleme im Projekt zu reden und diese mit Hilfestellungen zu lösen. Des Weiteren teilt man Themen, mit denen man im Auslandsjahr konfrontiert wird und tauscht sich darüber aus. Der Mittwoch war dafür vorgesehen. Wir fingen damit an, aktuelle Probleme zu sammeln und diese in verschiedene gezeichnete Kochtöpfe zu unterteilen, da die Themeneinheit „Es brodelt…“ hieß. Es gab unter anderem die Kochtöpfe Arbeit, soziales Umfeld und Gesellschaft. Am Schluss hingen einige sehr schwierige aber auch teils sehr ähnliche Probleme an der Wand. Eine Freiwillige hatte sehr mit dem Deutsch-sein zu kämpfen, eine Andere wiederrum hatte Probleme mit Gerüchten, die über sie im Projekt verbreitet worden waren. Ich brachte mein derzeitiges Hauptproblem ein, dass ich sehr hohe Erwartungen an mein Auslandsjahr habe und mich sehr leicht mit anderen vergleiche. Die Probleme wurden in einer für mich sehr interessanten Art angegangen. Es wurden vier Stühle in die Mitte gestellt, wo einerseits der Fallberichter, zwei Tipps-Geber und ein Nachfrager platznahmen. Außerhalb standen die Beobachter, die ebenfalls interagieren konnten. Diese Themeneinheit beschäftigte uns bis nach dem Mittagessen. Im Anschluss schauten wir das jeweilige Einsatzland aktuell an und gestalteten dazu eine Zeitschrift. Am Abend wurden Clarissa und ich eingeladen, die Internatsschule der Jungen zu besuchen. Diese wurde von den Jesuiten gegründet und ist sehr modern und geräumig erbaut worden. Der sehr sympathische Direktor und ein Schüler zeigten uns das gesamte Gebäude. Die Jungen haben in der Woche 15 Fächer, lernen vier Sprachen und lesen 18 große Lektüren in insgesamt drei Jahren. Nachdem wir in unsere Unterkunft zurückkehrten gab es noch eine Fotoshow, wo jeder Bilder von seinem Projekt zeigen durfte. Da es nach dem Abendbrot immer noch in Strömen regnete, spielten wir Gesellschaftsspiele in unserer Unterkunft, anstatt wie geplant eine Bar aufzusuchen.  

 

Am darauffolgenden, vorletzten, Tag stand ein Ausflug zur Burg von Shkodra an. Nachdem wir lecker gefrühstückt hatten und uns Lunchpakets mitgegeben wurden, brachen wir zu Fuß in Richtung der Burg namens Rozafa auf. Nach einer Sage haben drei Brüder diese Burg errichtet. In jeder Nacht stürzten jedoch die Mauern dieser Burg wieder ein, weshalb ein alter Mann den Männern riet, eine Frau einzumauern, damit die Mauern für immer halten. Daraufhin vereinbarten die drei Männer, die Ehefrau zu nehmen, die als erste das Mittagessen bringen würde. Während zwei von den drei Männern, ihre Ehefrauen darüber informierten, wurde die junge Rozafa eingemauert. Sie nahm ihr Schicksal hin, bat aber darum, dass man eine ihrer Brüste, einen Arm und ein Bein nicht einmauern würde. So konnte sie weiterhin ihrem jungen Kind die Brust geben, es streicheln und mit dem Bein die Wiege schaukeln. Heutzutage ist Rozafa eine Burgruine, die jedoch einen atemberaubenden Ausblick über Shkodra bietet. Dank des guten Wetters konnten wir bis rüber nach Montenegro schauen, sowie das mächtige Bergmassiv bestaunen. Nachdem wir die einzelnen Bestandteile der Burgruine erkundeten und fleißig Panoramafotos schossen, verließen wir die Burg und spazierten an einem See entlang. Unser Ziel war eine gemütliche Cafeteria, wo wir uns mit Tee, Kaffee und Kuchen aufwärmten. Spätnachmittags wurden wir von zwei Fahrern der Unterkunft abgeholt. Nach einer Mittagspause planten wir unseren letzten Abend. Bevor wir zum Abendbrot gingen, besuchten wir 

eine 360° Bar, die sich auf etwa 80 Metern Höhe befand. Am Spätabend besuchten wir noch eine andere Bar und ließen den letzten Abend schön ausklingen.  

 

Am letzten Tag spielten wir nach dem Frühstück ein sehr interessantes Gruppenspiel. Auf dem Boden lagen Blätter und wir mussten den richtigen Weg mit Hilfe der anderen Freiwilligen auf die andere Seite finden. Es konnte vorwärts, rückwärts oder seitwärts gegangen werden. Dieses Spiel zeigte uns erneut die Schwierigkeiten des Auslandjahres, dass eben nicht alles nach Plan läuft, sowie das es nicht immer geradeaus geht. Mir gefiel das Spiel sehr gut. Nach der Auswertung des Spiels, sprachen wir über einige offenstehende Themen und erhielten noch einige hilfreiche Tipps. Zum letzten Mittagessen bekamen wir reichlich typisch albanische Küche aufgedeckt. Danach hieß es Verabschieden. Da Jacob eine sehr ungünstige lange Busroute über Athen gewählt hatte, fuhr ich allein mit den gleichen Bussen, wie bei der Hinfahrt, zurück nach Rumänien. Sehr erschöpft von der langen Rückreise, aber mit neuen Ideen und neuer Motivation, kam ich drei Tage später in „meiner“ Stadt Ploieşti an.  

 

Für mich war das Zwischenseminar eine sehr wertvolle Zeit. Ich bekam Zeit, über meine ersten 6 Monate in meinem Land zu denken. Ich habe in Shkodra gelernt, dass ich nicht allein bin mit meinen Problemen und dass es auch viel einfacher geht, ohne Druck. Der Ausflug auf die Burg, die vielen Gespräche, die schönen Abende und die sympathischen Freiwilligen, haben mir neuen Mut, neue Energie und Kraft gegeben. Ich danke den Jesuit Volunteers sehr, dass ich das Zwischenseminar besuchen konnte. Meine Mannschaft für die zweite Spielhalbzeit habe ich optimiert und bin für das Kommende besser gewappnet. 

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